Kürzlich waren wir im Bisistal auf einer Skitour. Beim Aufstieg Richtung Glatten entdeckte ich im Wald den Eisfall. Das Bild, des zu Eis erstarrten Bergbachs, ist mir im Kopf geblieben und hat zu Gedanken angeregt, so, dass ich bei der Abfahrt extra einen Umweg machte, um den Eisfall zu fotografieren.
Das Eisfallbild und die Analogie zur Berufsbildung gefallen mir deswegen, weil das Design eindeutig schön ist, ich jedoch den Eindruck habe, dass das System doch ziemlich erstarrt ist.
Das Schweizerische System der Berufsbildung -gerade auch im internationalen Vergleich- wird gelobt. Dessen Design wird manchmal gar als Muster präsentiert. Es vereint praktische Ausbildung im Betrieb mit theoretischem Wissen in der Berufsschule. Junge Menschen, die einen Beruf lernen, werden rasch integriert in eine Arbeitswelt und Gesellschaft und machen Erfahrungen, dass ihre Arbeit geschätzt wird und daraus entstehende Produkte und Dienstleistungen einen Wert haben. Wenn ich Berufslernende beobachte und sehe, welchen Entwicklungsprozess diese in den drei Lehrjahren machen, so erstaunt mich dies immer wieder. Lehrlinge „reifen“in diesem beruflichen Umfeld rasch und verstehen sich als bald als erwachsene und akzeptierte Mitarbeiter mit Verantwortungsbereich und spezifischen Aufgaben.
Es gibt auch eine andere, starre Seite in der Berufsbildung. Währenddem sich die Betriebe ständig dem wirtschaftlichen und technologischen Umfeld anpassen müssen um für die Zukunft gerüstet zu sein, ist der staatlich organisierte Teil der Berufsbildung in einem ziemlich starren Korsett. Bildungsverordnungen zu den einzelnen Berufen, in denen die Inhalte und Kompetenzen geregelt sind, werden lediglich in grossen zeitlichen Abständen überarbeitet. In technologienahen Berufen führt dies häufig dazu, dass das tägliche Arbeitsumfeld im Betrieb nicht mehr mit dem Bildungsplan übereinstimmt.
Und auch den staatlichen Berufsfachschulen bereitet es Mühe, den Herausforderungen neuer Technologien und raschen gesellschaftlichen Wandels gerecht zu werden. Gerade im Bereich der Auswirkungen der Digitalisierung hinken diese der Entwicklung hintendrein. Noch prägen alte Lektionenmuster, starre Lehrpläne, ein ausgeklügeltes Prüfungs- und jenachdem auch Sanktionssystem den Unterricht. Viele Lehrpersonen sind nicht darauf vorbereitet, dass Lernende auf ihrem Smartphone attraktiver aufbereitete Themen und Inhalte finden, als es die Lehrperson je zu gestalten vermag. Und dass sie plötzlich in ihrer Rolle als Experte, der das Wissen verteilt und verwaltet, hinterfragt werden, bereitet Mühe. Klar werden heute digitale Tools auch im Unterricht eingesetzt, jedoch meist nicht im Sinne eines lernzentrierten Zugangs, sondern als zusätzliche Möglichkeit, den tradierten und lehrzentrierten Unterricht mit digitalen Mittel zu erweitern.
Und doch – Eis ist ja bekanntlich formbar und auch ein gefrorener Wasserfall ist in Bewegung. Eine solche Bewegung erlebte ich kürzlich am Bildungszentrum Limmattal in Dietikon. Man hat dort begonnen, einen Teil des Unterrichts in einem 360º Lernraum zu organisieren (Projekt n47e8).
Künftige Logistiker lernen nun selbstverantwortlich, individuell, kompetenzorientiert und digital. Auf altbackene Fachbücher wird verzichtet, dafür entscheiden sich die Lernenden für „Missions“, die sie in Eigenverantwortung bearbeiten. Klar werden sie dabei begleitet von den anderen Lernenden und von Lehrpersonen, die als Coach funktionieren. Und sie werden unterstützt von einem Lernraum, der sie mit den digitalen Möglichkeiten einer App, den virtuellen Räumen und mit einer genial gestalteten Schulraumumgebung im wahrsten Sinn des Worts in Bewegung bringt. Wenn ich mit Lernenden spreche sehe, höre und spüre ich akzeptierte Heterogenität, individuelles Lernen, Eingebundensein in Gruppen, Binnendifferenzierung und Erfolgserlebnisse.
Das Bildungszentrum Limmattal als Institution steht am Anfang des Prozesses, macht viele Erfahrungen und reflektiert diese und organisiert Lernen neu. Ein ermutigendes Beispiel! Ist das ein Vorbote des Frühlings, wo der erstarrte Eisfall wieder zum Wasserfall wird?