Den meisten Lehrpersonen sind die „10 Merkmale guten Unterrichts“ von Hilbert Meyer oder auch von Andreas Helmke ein Begriff.
Hilbert Meyer
Klare Strukturierung des Unterrichts
Hoher Anteil echter Lernzeit
Lernförderliches Unterrichtsklima
Inhaltliche Klarheit und Verbindlichkeit
Sinnstiftendes Kommunizieren
Methodentiefe
Individuelles und gemeinsames Fördern
Intelligentes Üben, Lernstrategien
Transparente Leistungs-erwartungen
Vorbereitete Lernumgebung
Andreas Helmke
Strukturiertheit und Klarheit
Effiziente Klassenführung und Zeitnutzung
Lernförderliches Unterrichtsklima
Ziel- und Kompetenzorientierung
Schülerorientierung, Unterstützung
Methodenvariation
Förderung aktiven, selbstständigen Lernens
Sicherung, intelligentes Üben
Vielfältige Motivierung
Passung heterogener Lernvoraussetzungen
Die Lehrerin Ines Bieler (https://ibieler.com/) hat sich überlegt, wie diese 10 Merkmale unter den Bedingungen der Digitalität aussehen können. Ich finde, sie zeigt grossartig auf, wie sich Schule im 21. Jahrhundert gestalten liesse und wie jede(r) von uns unmittelbar damit anfangen kann. Und natürlich macht sie das mit digitalen Mitteln.
Schau doch selber!

Die 10 Merkmale guten Unterrichts (unter der Bedingungen der Digitalität)
Ich habe Überlegungen gemacht, wie diese zehn „neuen“ Merkmale im Umfeld der Berufsschulen eingesetzt werden können.
Offene Strukturen: Auflösung der Lektionen- und Fächerstruktur
Im Berufsschulunterricht ist dies bereits heute problemlos möglich. Wenn sich Lehrpersonen für Berufskunde und Allgemeinbildung zusammentun, können Lernende in den grosszügigen Zeitgefässen ihren Lernpfad und die Methoden selber wählen und Themen verbinden. Für mich eine Idealfall wäre es, Lernende aller Lehrjahre in der gleichen Klasse/Gruppe zu haben. Solche gemischte Lerngruppen bilden so auch die Realität in einem Betrieb ab.
Lernzeit: An Projekten selbstbestimmt lernen
Im Unterricht an Berufsschulen können Lernprojekte (sei es in Allgemeinbildung oder in Berufskunde) problemlos und auch ausserhalb einer festen Lektionentaktung realisiert werden. Projektthemen aus dem beruflichen oder gesellschaftlichen Umfeld bieten sich geradezu an und sind riesige Lernchancen. So kann die Verbindung zwischen Praxis (im Betrieb) und Theorie (in der Schule) gelingen und der klassische, veralte Gegensatz endlich aufgehoben werden.
Lernklima: Lehrende sind nicht „Wissensmonopolisten“ sondern Coach
An Berufsschulen mit den sehr heterogen zusammengesetzten Klassen läuft ohne gute Beziehung gar nichts. Es ist die Chance, um die Lernenden zu unterstützen und dabei ein gutes Lernklima zu schaffen. Die unglaublich grossen Veränderungen in vielen Berufsbildern (bedingt durch die Digitalisierung!) stellen die Rolle des allwissenden Experten sowieso in Frage. Deshalb begleiten Berufsschullehrers ihre Lernenden besser als Guide durch die Lehrzeit.
Inhaltliche Klarheit: Lehrende unterstützen Lernende mit einem Angebot und mit entsprechenden Tools
An Berufsschulen arbeiten Lernende, die von ihren Ausbildungs-Betrieben strukturierte Arbeitsprozesse kennen und nutzen. Mit digitalen Tools können diese Erfahrungen vorteilhafthaft auf den Unterricht übertragen werden. Selbstorganisiertes Arbeiten und Lernen ist ein Muss.
Kommunikation: Ist die Grundlage des Lernens
Alle Berufslernenden sind in Lehrbetrieben beruflich sozialisiert. Teamarbeit und Kollaboration, aber auch Einsatz und Initiative werden da „automatisch“ verlangt. Und solche Kompetenzen sind auch die Grundlage des Lernens in der Berufsschule. Wir müssen diese unbedingt nutzen.
Methodenvielfalt: Lernende sind befähigt, selbstständig Methoden auszuwählen und zu bewerten
Selbstorganisiertes Arbeiten und Lernen bedeutet, auch selber Methoden auszuwählen, Erfahrungen damit zu sammeln und diese zu reflektieren sowie zu bewerten. Das heisst auch, dass Berufslernende eigene kreative Lernprodukte oder Kompetenznachweise erstellen. Klassische Wissensprüfungen haben da keinen Platz mehr.
Individualisierung: Lernen im eigenen Tempo, Heterogenität als Chance
Berufsschulklassen sind meistens sehr heterogen zusammengesetzt. Da bieten sich individualisierte Lernumgebungen oder Varianten von Kompetenzrastern gerade zu an, im eigenen Tempo an den eigenen Fragen zu arbeiten.
Training: Wissen, Können und Haltungen werden zu Kompetenzen verdichtet
Wo sonst, wenn nicht an einer beruflichen Schule müssen Wissen und Können verbunden sein. Theorien und (berufliche) Praxis sind beste Voraussetzung echt kompetent zu werden!
formative assessment: Arbeiten, Reflexion und Rückmeldungen werden in einem e-Portfolio sichtbar gemacht
Berufslernende präsentieren eigene Lernprodukte (individuell oder als Team), sind stolz auf das Erarbeitete, reflektieren über den Weg und bauen ein individuelles e-Portfolio auf. Summative Wissenstests hingegen zeigen kaum echte Lernfortschritte.
Lernraum: Kollaboratives Arbeiten unabhängig von Ort und Zeit und auch an ausserschulischen Lernorten
An Berufsschulen haben wir problemlos die Möglichkeit, die berufliche oder gesellschaftliche Realität in die Schule zu holen oder diese mit digitalen Mitteln orts- und zeitunangängig aufzusuchen. Die Berufsschule könnte als co-workingspace organisiert sein. Lernende und Lehrende bieten sporadisch Barcamps an und teilen und erweitern so ihre Kompetenzen.
Ich bin mit Ines Bieler abolut einverstanden, dass die digitale Transformation im Unterricht in erster Linie eine Frage der Haltung von Schulen und deren Personal ist. Untericht nur aus der Warte Technik (digitale Tools etc.) ohne die skizzierte Haltung zu sehen, ist alte Schule und weit entfernt von zeitgemässem Lernen.
Beitragsbild: Screenshot aus „digitale Didaktik“ von Ines Bieler